Samstag, 1. März 2014

Zollenspieker



Alljährlich am 1. März nimmt Hamburgs letzte verbliebene Elbfähre traditionell ihren Betrieb wieder auf. Vom südöstlichsten Zipfel Hamburgs, am Zollenspieker, kann man dann mit Fahrzeugen aller Art nach Hoopte in Niedersachsen übersetzen. Seit 1252 besteht an dieser Stelle eine Fährverbindung. Das Wetter war heute mäßig, eher grau denn blau und die Temperaturen hatten sich im Vergleich zu den Vortagen halbiert. Immerhin es war trocken. Schon beim morgendlichen Brötchen holen hatte der Pinscher zu verstehen gegeben, es sei ihm heute zu kalt, und er würde den Tag lieber zu Hause unter der Bettdecke verbringen. 

Eine "Zollenspiekerrunde" ist zwischen 55 und 75 km lang. Abkürzungen sind kaum möglich, schließlich muss man dem Strom zwei mal überqueren und irgendwie wieder nach Hause. Einmal losgefahren muss man da durch, entsprechend schwer fiel der Start heute Mittag. Ist man erst mal unterwegs, dann ist es jedoch ok. Dünne Handschuhe bis zur ersten Kreuzung am Krankenhaus St. Georg, dicke Handschuhe bis zum Berliner Tor, dünne Handschuhe am Billekanal, so ging das noch eine ganze weile weiter. Die schönste Strecke zum Zollenspieker führt von Moorfleet über den alten Marschbahndamm direkt zum Fähranleger und auf der Südseite der Elbe der Seeve entlang bis nach Harburg. Heute wählte ich jedoch bewusst eine andere Strecke. 

In den ausgedehnten Industriegebieten von Rothenburgsort und Billbrook herrscht am Wochenende kaum LKW-Verkehr und man kommt ganz zügig voran. Außerdem stehe ich in dem Ruf, mir auch gerne mal ein furchtbares Industriegebiet anzusehen. An der S-Bahn Station Billwerder-Moorfleet fahre ich durch die Unterführung und dann schnurgerade, entlang der Eisenbahntrasse nach Berlin, Richtung Bergedorf. Zur Linken die Justizvollzugsanstalt Billwerder. Hinter einer strammstehenden Reihe frisch geköpfter Kopfweiden Nato-Draht, dann ein Elektrozaun und dahinter eine 6 Meter hohe Betonmauer (graffitifrei). Zum Glück muss man das nicht sehen wenn man drinnen ist, dachte ich, aber was man dann wohl sieht? - Naja, wenigstens ist die Luft hier draußen ganz OK. 
An der S-Bahnstation Nettelnburg gibt eine Rotte S-Bahnstationtrinker den Radweg theatralisch und so gut es die schon eingeschränkte Motorik zulässt, für mich frei. Ich bedanke mich theatralisch. Um zwei Ecken passiere ich das, was von einem "Max Bahr" Baumarkt noch übrig geblieben ist. "Schön, dass sie da sind" steht in roten Lettern auf den ehemaligen Eingangstüren. Schön skurril denke ich, mache ein Foto und fahre weiter. 

Es geht ein Mal quer durch Bergedorf. Auf gepflasterten, auch hier viel zu engen und gerne von Fußgängern benutzten Fahrradwegen kein herausragendes Vergnügen. Hinter Bergedorf überquere ich die Bahngleise, die über Geesthacht zum Kernkraftwerk Krümmel führen und biege rechts auf den Bahndammweg, der über Neuengamme zum Zollenspieker führt, ab. Ruhe, und immer gerade aus, durchatmen und dahin gleiten. 

Nach 35 Kilometern erreiche ich den Fähranleger. Zwar kann man hier im Sommerhalbjahr auch die Elbe queren, jedoch ist die Hauptaufgabe dieser Lokation das gegenseitige begaffen motorisierter Zweiräder aller Art. Sehen und gesehen werden, oder aber hören und gehört werden. Imbissstände dies- und jenseites des Flüsses bieten die passende Stärkung dazu. Die 50.000 Euro Harley verursacht hier und da verhaltenes Raunen, man gibt sich jedoch eher kühl, wer braucht schon einen 50.000 Euro Harley und überhaupt.... Ganz anders sieht das jedoch aus, wenn jemand auf einem Liegerad, mit einem Pinscher in "Habacht-Stellung" auf dem Gepäckträger geräuschlos vorbei schießt. Da schießen dann auch die Köpfe der Lederbekleideten gleich reihenweise herum und der eine oder andere Mund bleibt erstaunt offen stehen....ja - da kann man so manchem Nietenhemd die Show stehlen. Show stehlen war heute nicht angesagt, zum einen fehlte das Liegerad, zum anderen war der Pinscher zu Hause geblieben und Motoradfahrer waren auch nur wenige unterwegs. Ich rollte auf die Fähre. "Zweifufzisch"! ...."Wie, schon wieder teurer geworden?" - "Nee!" - "Gut!" Ein Schubverband quälte sich mühsam zwischen der "Hoopter Möwe 2" und dem Südufer stromaufwärts. So etwas kann dauern.

Zollenspieker Fähre

Am Imbiss in Hoopte gab es wie immer Kaffee und Mandelhörnchen, die besten Mandelhörnchen südlich der Elbe. Zwei Altrocker drängten sich vor, aber ich hatte ja Zeit. Südlich der Elbe wählte ich den kürzesten Weg, immer dem Deich längs. Leider kann man die Elbe nicht sehen, aber mit ein wenig Wind im Rücken machten die 15 km bis zur Elbbrücke trotzdem Spaß. Auf dem schmalen Radweg neben der Autobahn überholte ich mühelos 800 Autos. Der Veloroute 10 folgend überquerte ich die Elbinsel recht zügig durch ruhige Nebenstraßen bis zur Ballinstadt. Östlich an Veddel vorbei führte mich mein Weg weiter zur Brücke über die Norderelbe. Die rechte Seite ist zur Zeit wegen Bauarbeiten gesperrt, also nahm ich die linke. Begegnen sich zwei Radfahrer, so wird es etwas eng. Ein Rastagelockter kam mir auf einer Art Bonanza-Rad entgegen. Über seinen rauchenden Joint peilte er die Richtung - knapp, aber passte. Amsinckstraße, Klosterwall - vom Hauptbahnhof schwappte mir breit eine Menschenmasse entgegen, ich kam zum stehen. Der schmale Typ mit dem zottigen roten Wickingerbart, der neben mir stand erklärte, man gebe Death-Metall in den Markthallen. Fünf Bands für 20 Ucken, das sei doch fair? Ich wartete noch eine Weil und dann waren es nur noch ein paar Meter bis zu Hause. Da wartete der Pinscher.


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