Montag, 20. Juli 2015

Achtzisch



Vorweg, die Reise war ein Weihnachtsgeschenk. Was kann man schöneres schenken als Reisen? Das Ziel stand auch schon fest -  der 80. Geburtstag meines Vaters in der Eifel. Damit die Strecke auch gemütlich und zu bewältigen sei, traf ich mich mit meinen Mitreisenden in Bremen. Aufregend ist das, immer wieder aufregend. Alles was benötigt wird in zwei kleine Taschen packen, noch einmal die Technik prüfen, da war tatsächlich eine lose Speiche, und dann mit dem Gefühl aufsteigen, am Abend woanders zu sein als am Morgen, und am nächsten Abend wieder. Die Spannung springt auf den Pinscher über, die kleinen Tierchen sehr sensibel, einmal den heimischen Hof verlassen verfliegt die Anspannung jedoch sofort und weicht gelassener Neugier.

Aus dem Hauptbahnhof wabert eine in mehrfacher Hinsicht unglaubliche Masse Schlager-Move-Jünger in die Stadt. Ich schiebe mein Rad gegen die Strömung. Positiv an der Sache ist, dass ich den verspäteten letzten oder vorletzten Metronom nach Bremen erwische. Der Zug ist leer. Ich lasse mich bei einem Berg leergetrunkener Alkopops nieder, das Alkoholverbot in den Zügen ist an solchen Tagen eher theoretisch. Antizyklisch handeln ist eine meines meiner Lebensätze und auch jetzt freute ich mich mal wieder, in der Gegenrichtung unterwegs zu sein. 



Viel zu früh in Bremen. Die Sonne lachte, links vom Bahnhofsausgang gab es Kaffee und Gebäck auf die Hand. Ich schob mein Rad nach rechts, dort hatte sich auf einem kleinen Stück Rasen die Bahnhofsszene zur Siesta abgelegt. Ich mischte ich unauffällig darunter, ließ den Pinscher herumsausen, futterte einen Kopenhagener und beobachtete die "breite" Masse. Gegenüber hatten Salafisten einen Mohammedkiosk aufgebaut und versuchten, beäugt von den Insassen eines Streifenwagens, ihre Religion an den Mann zu bringen. Die Käppchen gefielen mir, sicherlich ein guter Sonnenschutz beim Radeln, dachte ich, wärend sich meine kleine Reisegruppe vervollständigte. Das erste Hotel war vorgebucht, so blieb uns nicht viel Zeit, die Hansestadt näher in Augenschein zu nehmen. Für eine kleinen Abstecher zu den Stadtmusikanten reichte es jedoch allemal. 


Die erste Etappe führte schnurgerade Richtung Süden. Milder Sonnenschein, Windstille, nette Dörfer, gepflegte Bauernhöfe wie aus dem Bilderbuch, plattes Land und quasi kein Verkehr. So stellt man sich das Radreisen vor. Die Unterkunft hatte vier Sterne, großzügige ebenerdige Zimmer mit Auslauf für den Pinscher, einen sicheren Stellplatz für die Fahrräder, sehr zuvorkommendes Personal, hervorragendes Essen, ein schönes Ambiente und war zudem günstig. So hätten wir uns das für den weiteren Weg auch gewüscht - beim Frühstück jedoch zeichnete sich ab, dass der folgende Tag ein Regentag werden würde. Auch die Wetter-App auf dem Handy machte keinen Mut. Also hinein in die Regenkluft und los - nutzt ja nix. Zermürbender Gegenwind und mäßige Temperaturen nagten an Geist und Seele. Bei Flammkuchen und einem Warmgetränk unterwegs machten wir uns auf die Suche nach einer nahen Unterkunft. Mit Hund? Nein Danke! ....aber der ist nur....Nein! In Porta Westfalica wurden wir fündig. Das bedeutete noch 30 weitere Kilometer gegen die Strömung. 


Das Tor nach Westfalen ist ein, der einzige, Durchbruch durch das Weserbergland und sieht mit dem thronenden Wilhelm an der Seite recht beeindruckend aus. Auch hier trübte Regen das Erleben, wie schon kurz zuvor an der ebenfalls beeindruckenden Kreuzung von Weser und Mittellandkanal. Unser Hotel lag gleich hinter der Tür links. - Naja, man musste noch einen Berg hinauf und ganz kurz vor dem Ende der Welt lag das "Waldhotel", Hochzeit: 70er Jahre. Sauber und günstig, so günstig, dass der Weg aus dem ständigen Verfall nicht mehr zu durchbrechen ist. Herr und Hund tropften. Ein großartige Gelegenheit den stinkenden Hund zu schrubben und Kleidung durch zu waschen. Am Abend gab es Döner an der letzten Dönerbude vor dem Teuteburger Wald. 



Nicht einmal 10 Kilometer hielten die Wolken am nächsten Morgen dicht und nach nur 30 Kilometern eskalierte die Lage derart, dass wir das vorgebuchte Hotel in Minden stornieren mussten. Mehr als zwei Stunden versuchten wir erfolglos dem Sortiment eines Bäckers, etwas gutes abzugewinnen. Das Beste war am Ende noch der Riesige Regenschirm unter dem wir uns niedergelassen hatten um eine neue Bleibe zu finden und die Rechnung, in der eindeutig nicht alle Versuche festgehalten waren. Unser Hotel war teuer und schlecht. Zwei Mal musste ich mich beschweren - ein Mal fand ich deutliche und sehr laute Worte an der Rezeption. Die Folge war ein Preisnachlass von 25 Euro und ein "Übersehen" des Pinschers. Daraus resultierte zwar eine gewissen Zufriedenstellung, nicht jedoch die Ruckname meiner miserablen Bewertung auf dem Buchungsportal.  

Nach dem schon erwartungsgemäß unterdurchschnittlichen Frühstück regnete es überdurchschnittlich viel. Grund für die Entscheidung, den allernächsten Bahnhof anzusteuern. Dennnoch blieb uns eine längere Unterstellpause unter dem Dach einer Tankstelle mit virtuellem Däumchendrehen nicht erspart. Der Zug käme in 3 Minuten. Fahrräder auf den Bahnsteig wuchten und die Fahrkarten später kaufen, war das Motto. Wo ist denn dieser sch.... Fahrradwaggon? Jedenfalls an diesem Ende des Zuges nicht. Egal - hinein damit! Eine mittelgute Entscheidung, wir waren zwar drin, aber verstellten den kompletten Durchgang. Wir würden demnächst den Waggon wechseln, aber der Zug hielt allenfalls 30 Sekunden an den Bahnhöfen. Keine Zeit um mit den Fahrrädern ans andere Ende zu gelangen. 


In Dortmund riskierten wir es dann doch. Das Fahrradabteil war überfüllt. Eine junge Frau mit Kinderwagen versuchte zwischen regelmäßigem "pssst Puschi" und diversen lautstarken Telefonaten, die sich inhaltlich ausnahmslos darum drehten, wo sie denn gerade sei und wann sie denn wo später sei, erfolglos ihr Äußeres ansprechend zu gestalten. Von der Grundierung bis zum Klarlack kam bei der 90-Minütigen Vorstellung alles zum Einsatz und so verlief die Fahrt trotz Stehplatz recht unterhaltsam. Mir ging dieses Lied von den Toten Hosen nicht mehr aus dem Kopf: "Die meisten Menschen sind nicht schon, sie haben eine scheiß Figur, und noch nicht mal Abitur". 

Essen - kein Schaffner in Sicht. Duisburg - Zeit zum aussteigen, bevor noch einer kommt und uns möglicherweise Fahrkarten verkaufen möchte. Der Megasparpreis erlaubte einen Ausgedehnten Nachmittagskaffee in der Fußgängerzone und auch der Typ mit den Dreadlocks, der mir eine große Freude damit bereitet hatte Hannes Wader auf der Gitarre zu zupfen, bekam auch noch etwas davon ab. 


Regen, Sonne, Regen, aber auf der linken Rheinseite wurde es wärmer. Unser Hotel in Grevenbroich war zwar teuer aber gut. Am Abend gab es vorzügliches spanisches Essen. Der Frühstücksraum sei für Hund verboten, aber gerne würde der freundliche junge Herr an der Rezeption auf das Tier aufpassen. Entgegen meiner Gewohnheiten ließ ich mich erst gar nicht auf eine Diskussion ein, übergab dem Mann die Leine und zwinkerte dem Pinscher noch einmal zu. Nach nicht einmal zwei Minuten wurde mir der Hund diskret wieder zugeführt. Er sei ja auch sehr klein und würde so leiden und er könne ja unter dem Tisch eigentlich wäre das ja auch nicht so schlimm. - Wir verstehen uns halt ohne Worte. 


Sonnig wie die Reise begann, endete sie auch wieder. Vorbei an den Braunkohletagebauten an der Erft und  hinauf in die Eifel, die wir nun durch unsere Bahnabkürzung einen Tag eher als geplant erreichten. Dem Jubilar kam das ganz recht. Gesegnet mit einer unglaublichen Konditon reichte dieh Zeit nun noch für eine Tagestour durch die hügelige Eifel und das grenznahe belgische Ardennenland. Und das Fest? - Perfekt!











Sonntag, 5. Juli 2015

Vogelfluglinie - der Sommernachtstraum



Vogelfluglinie nennt man die Bahnstrecke von Hamburg nach Puttgarden auf Fehmarn (und darüber hinaus), weil sie der Zugrichtung der Vögel im Frühling und Herbst folgt. Ich hatte schon lange an einer gut fahrbaren Route getüftelt, kam aber leider immer auf 200+ km. Als ich mich schon fast damit abgefunden hatte fand sich in den Weiten des Netzes doch noch die Beschreibung einer vielersprechende kürzeren Strecke, die auch Fahrradtauglich erschien. Nachts radeln ist schon etwas besonderes, manch einer mag glauben besonders verrückt, aber ich finde die Wahrnehmung ist eine andere, es ist ein ganz spezielles Erlebnis. Nachdem im vergangenen Jahr die ADFC-Tour von Hamburg nach Cuxhaven ausgerechnet kältesten Sommernacht des Jahres, die auch noch recht feucht war, statt fand, war da der Traum einer Tour in einer kurzen, warmen Mittsommernacht. Nun war es so weit, die Sommerhitze hatte mutmaßlich den Jahreshöhepunkt erreicht und ich konnte zwei Mitfahrer für meine Tour begeistern, die um 21:45 Uhr motiviert am Treffpunkt im Hamburger Hauptbahnhof standen. Noch ein Kaffee, ein Franzbrötchen, die Tickets aus dem Automaten (ein netter Herr trug mir das in der Aufregung vergessene Wechselgeld freundlicher Weise hinterher) und das Abendteuer konnte beginnen. Puttgarden 0:55 Uhr, der Zug war pünktlich - noch ein Kaffee aus dem Automaten, dann hinaus auf die Mole, ein stilvoller Startpunkt unserer Tour, wie wir fanden. Eine Fähre aus Dänemark zog auf ihrem Weg in den Norden vorbei. Die Jacke hatten wir nicht umsonst eingepackt - hier draußen war es auch in dieser Nacht nur 14°C. Schnell und im Zickzackkurs überflogen wir die Insel, kein Mensch zu sehen, keine Autos. Meist fuhren wir zu dritt nebeneinander, schweigend, lauschend, bemüht zu sehen. Hätte doch mein VW-Käfer damals solch ein fantastisches Licht gehabt wie heutzutage ein Fahrrad, das wäre eine feine Sache gewesen. Gegen halb drei erreichten wir den Fehmarnsund. Verschnaufpause auf der Brücke, der Mond schien hell, fast kein Verkehr, und wenn, dann in die Gegenrichtung. Antizyklische Handeln ist oft klug, schon wenige Stunden später würde genau hier das Chaos auf der Straße ausbrechen. An der Araltankstelle auf dem Festland gleich rechts versorgten wir uns mit weiteren Getränken und stillten erste Hungergefühle. Der Verkäufer schien erfreut überrascht über uns drei seltsame Gestalten mitten in der Nacht. 



3:40 Uhr auf einer leeren Landstraße bei Neustadt. Ein alter Passat Kombi überholt langsam. Das Fahrzeug hält an, eine Frau im fortgeschrittenen Alter springt heraus und keift, da sei ein Radweg links. Wo? Da! Achwas?! - So manches Problem möchte man garnie haben, nicht linksseitige holprige Radweg an dunklen, leeren, holsteinischen Straßen mitten in der Nacht, aber auch das Problem der Dame erschien uns beängstigend. Es begann zu dämmern, das Grau entschwand und die Landschaft bekam sanfte Farben. Auch das Vogelkonzert hatte begonnen. Wir beschlossen einen Abstecher zum Strand in Kaffkrug. Die Buden der Strandpiraten waren noch vernagelt, die Strandkörbe verwaist. Ich schob mein Rad durch den Sand fast bis zur Brandunglinie, etledigte mich blitzschnell all meiner verschwitzten Kleidung und rannte in die kühle Flut. Tief Luft holen, ein Sprung, hinab tauchen, bis die Brust den Sand berührt und in der Stille einen Moment verweilen. Nichts denken, langsam zu diesem Lichtpunkt hinauf tauchen und beim Durchbrechen der Wasseroberfläche die aufgehende Sonne über der Ostsee sehen - ich konnte nicht genug davon bekommen. Zwei Mal, drei Mal, vier Mal, weißer Sand, kühles Meer und die Sonne die einen herannahenden sehr heißen Tag ankündigt. Momente purer Lebensfreude die sich einbrennen, vieleicht für immer, die aber mit Sicherheit über den nächsten Winter helfen werden. 


Luftgetrocknet (ich war ohne Handtuch in die Nacht gestartet) und erfrischt, aber mit knurrendem Magen machten wir uns wieder auf den Weg. Die kleinen Dörfer durch die wir fuhren hatten allesamt nicht das Potential für eine Bäckerei. In Holstein wimmelt es jedoch von Frühaufstehern. Ein Herr in strenger Heimwerkeruniform bearbeitete gegen halb sieben seine Hecke mit einer Motorsäge. Solche Nachbarn möchte man haben. Aber freundlich sind diese Frühmenschen alle. Bei Reinfeld kam die Erlösung. Der eingebildet schon seit langem gerochene frische Kaffee und die Brötchen wurden am sonnigen Außentisch einer Landbäckerei Realität. Gestärkt und gut eingefahren klemmten wir uns bei Kilometer 120 hinter einen Peloton noch recht frisch riechender Rennradfahrer, lediglich die Begleitfahrzeuge hielen uns vom überholen ab. Trotzdem ein Gaudi, mit unseren mehr als doppelt so schweren Rädern konnten wir kocker ein paar Kilometer mithalten, bis unsere Wege sich wieder trennten. Die letzten 40 Kilometer in die heimatliche Hansestadt, bei Temperaturen um die 35°C, wurden dann doch ein wenig zur Qual. Ein letztes kühles Getränk auf unserer Dachterrasse, dann machte sich die Müdigkeit breit. Schön wars, großartig wars. Ich dachte kurz darüber nach, was man denn nun macht wenn solch ein Sommernachtstraum erfüllt wurde? Das Ergebins: man denkt sich einfach einen neuen aus :)


Und der Pinscher? Der Pinscher war wärend dieser Tour vollauf damit beschäftigt, das kühlste Plätzchen in der heimatliche Wohnung zu finden.