Sonntag, 5. Juli 2015

Vogelfluglinie - der Sommernachtstraum



Vogelfluglinie nennt man die Bahnstrecke von Hamburg nach Puttgarden auf Fehmarn (und darüber hinaus), weil sie der Zugrichtung der Vögel im Frühling und Herbst folgt. Ich hatte schon lange an einer gut fahrbaren Route getüftelt, kam aber leider immer auf 200+ km. Als ich mich schon fast damit abgefunden hatte fand sich in den Weiten des Netzes doch noch die Beschreibung einer vielersprechende kürzeren Strecke, die auch Fahrradtauglich erschien. Nachts radeln ist schon etwas besonderes, manch einer mag glauben besonders verrückt, aber ich finde die Wahrnehmung ist eine andere, es ist ein ganz spezielles Erlebnis. Nachdem im vergangenen Jahr die ADFC-Tour von Hamburg nach Cuxhaven ausgerechnet kältesten Sommernacht des Jahres, die auch noch recht feucht war, statt fand, war da der Traum einer Tour in einer kurzen, warmen Mittsommernacht. Nun war es so weit, die Sommerhitze hatte mutmaßlich den Jahreshöhepunkt erreicht und ich konnte zwei Mitfahrer für meine Tour begeistern, die um 21:45 Uhr motiviert am Treffpunkt im Hamburger Hauptbahnhof standen. Noch ein Kaffee, ein Franzbrötchen, die Tickets aus dem Automaten (ein netter Herr trug mir das in der Aufregung vergessene Wechselgeld freundlicher Weise hinterher) und das Abendteuer konnte beginnen. Puttgarden 0:55 Uhr, der Zug war pünktlich - noch ein Kaffee aus dem Automaten, dann hinaus auf die Mole, ein stilvoller Startpunkt unserer Tour, wie wir fanden. Eine Fähre aus Dänemark zog auf ihrem Weg in den Norden vorbei. Die Jacke hatten wir nicht umsonst eingepackt - hier draußen war es auch in dieser Nacht nur 14°C. Schnell und im Zickzackkurs überflogen wir die Insel, kein Mensch zu sehen, keine Autos. Meist fuhren wir zu dritt nebeneinander, schweigend, lauschend, bemüht zu sehen. Hätte doch mein VW-Käfer damals solch ein fantastisches Licht gehabt wie heutzutage ein Fahrrad, das wäre eine feine Sache gewesen. Gegen halb drei erreichten wir den Fehmarnsund. Verschnaufpause auf der Brücke, der Mond schien hell, fast kein Verkehr, und wenn, dann in die Gegenrichtung. Antizyklische Handeln ist oft klug, schon wenige Stunden später würde genau hier das Chaos auf der Straße ausbrechen. An der Araltankstelle auf dem Festland gleich rechts versorgten wir uns mit weiteren Getränken und stillten erste Hungergefühle. Der Verkäufer schien erfreut überrascht über uns drei seltsame Gestalten mitten in der Nacht. 



3:40 Uhr auf einer leeren Landstraße bei Neustadt. Ein alter Passat Kombi überholt langsam. Das Fahrzeug hält an, eine Frau im fortgeschrittenen Alter springt heraus und keift, da sei ein Radweg links. Wo? Da! Achwas?! - So manches Problem möchte man garnie haben, nicht linksseitige holprige Radweg an dunklen, leeren, holsteinischen Straßen mitten in der Nacht, aber auch das Problem der Dame erschien uns beängstigend. Es begann zu dämmern, das Grau entschwand und die Landschaft bekam sanfte Farben. Auch das Vogelkonzert hatte begonnen. Wir beschlossen einen Abstecher zum Strand in Kaffkrug. Die Buden der Strandpiraten waren noch vernagelt, die Strandkörbe verwaist. Ich schob mein Rad durch den Sand fast bis zur Brandunglinie, etledigte mich blitzschnell all meiner verschwitzten Kleidung und rannte in die kühle Flut. Tief Luft holen, ein Sprung, hinab tauchen, bis die Brust den Sand berührt und in der Stille einen Moment verweilen. Nichts denken, langsam zu diesem Lichtpunkt hinauf tauchen und beim Durchbrechen der Wasseroberfläche die aufgehende Sonne über der Ostsee sehen - ich konnte nicht genug davon bekommen. Zwei Mal, drei Mal, vier Mal, weißer Sand, kühles Meer und die Sonne die einen herannahenden sehr heißen Tag ankündigt. Momente purer Lebensfreude die sich einbrennen, vieleicht für immer, die aber mit Sicherheit über den nächsten Winter helfen werden. 


Luftgetrocknet (ich war ohne Handtuch in die Nacht gestartet) und erfrischt, aber mit knurrendem Magen machten wir uns wieder auf den Weg. Die kleinen Dörfer durch die wir fuhren hatten allesamt nicht das Potential für eine Bäckerei. In Holstein wimmelt es jedoch von Frühaufstehern. Ein Herr in strenger Heimwerkeruniform bearbeitete gegen halb sieben seine Hecke mit einer Motorsäge. Solche Nachbarn möchte man haben. Aber freundlich sind diese Frühmenschen alle. Bei Reinfeld kam die Erlösung. Der eingebildet schon seit langem gerochene frische Kaffee und die Brötchen wurden am sonnigen Außentisch einer Landbäckerei Realität. Gestärkt und gut eingefahren klemmten wir uns bei Kilometer 120 hinter einen Peloton noch recht frisch riechender Rennradfahrer, lediglich die Begleitfahrzeuge hielen uns vom überholen ab. Trotzdem ein Gaudi, mit unseren mehr als doppelt so schweren Rädern konnten wir kocker ein paar Kilometer mithalten, bis unsere Wege sich wieder trennten. Die letzten 40 Kilometer in die heimatliche Hansestadt, bei Temperaturen um die 35°C, wurden dann doch ein wenig zur Qual. Ein letztes kühles Getränk auf unserer Dachterrasse, dann machte sich die Müdigkeit breit. Schön wars, großartig wars. Ich dachte kurz darüber nach, was man denn nun macht wenn solch ein Sommernachtstraum erfüllt wurde? Das Ergebins: man denkt sich einfach einen neuen aus :)


Und der Pinscher? Der Pinscher war wärend dieser Tour vollauf damit beschäftigt, das kühlste Plätzchen in der heimatliche Wohnung zu finden. 




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