Montag, 28. September 2015

Der frühe Vogel




....bekommt erst einmal kalte Hände Ende September, denn selbst bei strahlendem Sonntagsmorgensonnenschein ist es zu dieser Jahreszeit schon empfindlich kühl. Der Wecker klingelte um sechs, es war noch stockdunkel. Ein erster Kaffee, ein zweiter Kaffee, den kranken Pinscher kraulen und in der digitalen Tageszeitung blätternd langsam wach werden. Warum um alles in der Welt? - Ganz einfach: die Wettervorhersage riet dazu und eine andere Perspektive tut immer gut. Sieben Uhr gassi gehen, Hustensaft und Antibiotikum verabreichen und das Tier nahe der Heizung abliegen lassen. Sechs Grad auf dem Thermometer das sprach für Handschuhen und Steppjacke. 




Frühstück unterwegs, einfach los fahren, die Elbe hoch und dann mal sehen. Das mittlerweile verhasste Partyvolk, das unseren Stadtteil an Wochenenden derweil regelmäßig überflutet schmort jetzt im eigenen Saft, nur harmlose Jogger, an der Elbe Angler und Gassigeher unterwegs. Auch die ersten Renradfahrer sausen umher. Sie grüßen nie, man grüßt nur seine eigene Peergroup. Manchmal grüße ich trotzdem, das verunsicher merklich.



Die Elbfähre beim Zollenspieker hatte den Betrieb noch nicht aufgenommen, die Fischbude war noch geschlossen - kein Frühstück. Ich beschloss weiter bis zum Kreisverkehr in Borghorst zu fahren, dem westlichsten Punkt der Stadt. Genau 40 Kilometer sind es von hier aus bis ins heimatliche St. Georg, Hamburg hat eine beachtliche Größe. Dort angekommen entschied ich mich, dem schönen Wetter geschuldet, noch ein paar Kilometer weiter flussaufwärts zu strampeln, an der Schleuse in Geesthacht die Elbe auf der Brücke zu überqueren und auf der anderen Flussseite zurück zu fahren. 


Ebenfalls vom schönen Herbstwetter gelockt, pesten auf der linken Elbseite die ersten Motoradfahrer vorbei. Unglaublich wie sehr doch ein einziger Motor die klare Morgenluft verderben kann, den Lärm möchte ich jetzt mal ausklammer, das ist ein Thema für sich. Gleiche Fähre, anderes Seite, andere Fischbude - die hübsche russische Verkäuferin, die das "r" immer so schön rollt, machte mir einen Kaffee und verkaufte mir ein Mandelhörnchen und eine Apfeltasche, die sich als Kirschtasche entpuppte dazu. Ich nahm die übernächste Fähre. Im nächsten Jahr würde ich mir eine Zehnerkarte kaufen, dieses Jahr lohnt es wohl nicht mehr. 


Schafe, ich liebe es den Deichschafen zuzusehen. Es ist so herlich unaufregen was sie machen, Fressen, stehen, liegen, kauen, Deich garnieren. Es entspannt einfach und sogar den Geruch mag ich. Kurz nach Mittag zog sich der Himmel zu, aber da war ich schon wieder zu Hause. 






Montag, 21. September 2015

Wendland


Nun wird es langsam Herbst. Die Rastlosen packt das kalte und dunkle Grauen, Monate lang tatenlos in der beheizten Wohnung sitzen und nach Besserung sehnen ist eine üble Angelegenheit, drum muss man noch Mitnehmen was eben geht. Das Wendland zum Beispiel, ich war noch nie im Wendland, ein unverzeihlicher Fehler wie ich eingestehen muss - diese Land ist überaus liebenswürdig, doch mehr dazu später. 



Erträgliche Temperaturen waren angekündigt, bis zu 8 Stunden Sonnenschein dazu. Eigentlich hätten wir zu vielen fahren mögen, am Ende blieb ein Freund und der Pinscher übrig. Treffpunkt Hauptbahnhof, der Metronom nach Lüneburg würde gegen halb zehn abfahren. Nach einem gemeinsamen Frühstück sollte dann die Tour einmal quer durchs Wendland bis nach Hitzacker gehen, nach dem Überqueren der Elbe zu unserem Nachtquartier in Dömitz und am nächsten Tag dann weiter nach Uelzen. Sollte - wie so oft kam alles anders. Schon die Gassirunde mit dem Pinscher endete nass. Am Bahnhof tropfte alles. Die Anzahl der Sonnenstunden im Wetterbericht war über Nacht auf 0 Stunden zusammengeschrumpft, lediglich Richtung Elbe sollte es besser sein. So stiegen wir in Lüneburg dann auch kurz entschlossen in die Wendlandbahn, um, so hofften wir, in Dannenberg auf besseres Wetter zu stoßen. Das Bistro am Bahnhof bot zu dieser vorgerückten Stunde nur noch frischen Kaffee, essbares war aus. Bei einem ToGo Becher machte der Hund eine Runde selfgassi während wir Regenzeug überzogen. Zielaktualisierung: Wittenberge an der Elbe und dann am Strom zurück nach Dömitz. 


Meine Stimmung war gut, trotz ergiebigem Regen, mäßigem Wind, Sandpiste und ungeplanten Bergen. Das Wendland verzaubert. Ausgedehnte Wälder, weite Felder, schöne Orte und ganz viel Nichts. Verlassene Häuser am Straßenrand, vollmöbliert, Tassen noch alle im Schrank - Gorleben, Republik freies Wendland, Widerstand. War das wirklich nötig mit der Atomkraft? Nun haben wir den Salat und die Kastoren dort drüben auf dem Acker. Müsliriegel gegen den schon nicht mehr kleinen Hunger. Beim Anblick der reichlich vorhandenen Pilze am Straßenrad frotzeln wir etwas herum. Ein einziger würde locker eine Bratpfanne füllen. Ob die nachts wohl leuchten?


Ein Gasthof lockte. Sonnen, oder heute eher Regenschirme draußen - der Reiseradler liebt es, erspart das doch die Sicherung von Rad und Reisegepäck. Kaffee gab´s und Apfelstrudel mit Eis, kein anderer Kuchen, ohne Eis kost das Selbe - nun denn, der Hunger war schlimmer als die Kälte. Plankorrektur: Da es immer noch regnete, Elbquerung in Schnakenburg statt in Wittenberge, das würde 40 Kilometer sparen und den restlichen Tagesverlauf entspannen. 


So machten wir es, und es war gut so. Elbe abwärts blies uns ein kräftiger Wind ins Gesicht und machte das Radeln mühsam. Die Belohnung bestand aus einem meist freien Blick vom Deich auf den Strom. Niedrigwasser, die Tonnen lagen auf Grund und den ganzen Tag begegnete uns kein Schiff. Offenwar war die Schifffahrt auf der Elbe derzeit eingestellt. 


Ohne Einweisung findet der Pinscher meist den ihm gebührenden Platz, und das in jeder Unterkunft. In Dömitz war das nicht anders. Unsere Herberge war hübsch, gepflegt, es gab einen sicheren Abbstellplätze für die Fahrräder und ordentliche Zimmer mit Dusche, ein überflüssiges Fernsehgerät aber leider kein W-Lan. Die Heiße Dusche war nötig und verdient. Recht bald machten wir uns auf, ein angemessenes Abendessen zu jagen. In der Empfohlenen Musikkneipe gab es nur noch freie Tische  bei der Band. Das erschien uns zum Essen wenig attraktiv, drum wählten wir einen anderen Gasthof. Vorspeise, Fleisch, Nachspeise, wir nahmen alles mit, schließlich war das die erste richtige Mahlzeit heute. Danach machte sich recht schnell Bettschwere breit. Noch eine kurze Hunderunde und gegen halb 11 lagen wir auch schon im Bett. Die zeit bis halb zwei verlief dann folgendermaßen: Das Hoftor knarrte, der Hund knurrte, Übernachtungsgäste kamen auf den Hof, setzten sich unter mein Fenster, zündeten sich eine Zigarette an. Er erklärte ihr den Sternenhimmel, die Haustür knarrte, die Holztreppe quietschte, der Hund knurrte, die Zimmertür klemmte - Rums! Das wiederholte sich vier oder fünf Mal. Nach kurzem Schlaf begann die Hausherrin gegen sechs Uhr mit den Frühstücksvorbereitungen. Warum noch liegen bleiben, Da könnte man doch mal mit dem Hund durch die Stadt und auf den Deich? 


Dömitz ist eben so schön wie tot - fast jedes dritte der Fachwerkhäuser im herausgeputzten Stadtkern steht leer. Nach nicht verifizierten Angaben hat die Stadt fast die Hälfte ihrer Einwohner in den letzten 20 Jahren eingebüßt. Leere Straßen, der Zerfall ist wohl nicht aufzuhalten. Der Blick vom Deich am Sonntag Morgen erbaut jedoch und machte Lust auf Frühstück. Die ungute Vorahnung, die ich gestern schon, als der Heizkörper sich nicht aufdrehen ließ und das Licht im Hausflur schon nach einer halben Etage Fußweg wieder erlosch, bestätigte sich beim Frühstück. Mit den attributen "einfach" und "spartanisch" ist es gut beschrieben. Dei Hausherrin verabschiedete sich nach kurzer Zeit mit den Worten "....sie haben ja noch, ich gehe mal eine Runde spazieren." Welch kluger Schachzug zu diesem Zeitpunkt. 


Ein zweites Frühstück beim Bäcker in Hitzacker war so unvermeidlich. Während ich Spatzen fütterte kam ein, früher hätte man wohl gesagt, Landstreicher vorbei und fragte ganz ungeniert nach 5 Euro. Der Preis erschien uns überhöht, jedoch ließ der Mensch überhaupt nicht mit sich handeln. Angebote von einem belegen Brötchen schlug er mit der Begründung, keinen Hunger zu haben aus. Soweit wir beobachten konnten, waren seine größten Erfolge an diesem Sonntag Morgen heftiges Kopfschütteln von ebenfalls angesprochenen Passanten. Planänderung: statt Uelzen würden wir jetzt Lüneburg ansteuern. Dies wäre der Weg von gestern gewesen und hätte den Vorteil häufiger und günstigere Bahnverbindung, erkauft mit ein paar zusätzlichen Bergen und einer etwas weiteren Fahrstrecke. Wendland, lieblich wie gestern, heute sogar mit ein paar Sonnenstrahlen. Ich musste wieder an meinen Traum vom Micro-Wochenenddomizil denken, das Wendland wäre  auch ein heißer Kandidat. 


Den Herbst in den Knochen, vom Gegendwind und den Hügeln etwas zermürbt, kamen wir am späten Nachmittag in Lüneburg an - nicht jedoch zu spät für einen der Situation angemessenen Abschlußkuchen, bevor sich unsere Wege trennten. In der Bahn nach Hamburg dachte ich darüber nach, dass der Herbst ja gerade erst angefangen hat, und ich sicherlich noch einmal an die Elbe oder ins Wendland fahren könnte in diesem Jahr. Wie schön das doch wäre, damit nicht bis ins nächste Jahr zu warten









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Montag, 14. September 2015

Tag der Idioten


...Patrioten, wie sich das, um es einmal mit den Worten unseres farblosen Vizekanzlers auszudrücken, Pack, selbst nennt - eine kummulation aus Neonazis, Hooligans, Pegidaanhängern und sonst irgendwie Besorgten, die an diesem Samstag den 12. September durch die Hansestadt pesten wollten, dies jedoch auch in dritter Instanz vom Bundesverfassungsgericht untersagt bekamen. Gut so. Also, der Aufmarsch fand nicht statt, auf dem Rathausmarkt und in allen Bahnstationen sang man gemeinsam "Imagine" von John Lennon und für den aufrechten Bürger dieser Stadt gab es weiter nichts zu tun, um die Metropole ins rechte Licht zu rücken. Fahrradfahren könnte man da alternativ. Eine Route war auch schon auserkoren, Von Reinfeld gen Osten, an die Nordspitze des Ratzeburger Sees, dann durch das schöne Mecklenburg bis an die Ostsee und den Tag auf dem Priwall ausklingen lassen. Handyticket war gekauft - der Fehler des Tages, wie sich herausstellen sollte. Die Ostseite des Hauptbahnhofes war von der Polizei abgeriegelt. Von Süden ging noch - keine Züge nach Richtung Harburg, keine Züge Richtung Kiel - ich schob das Fahrrad duch die überfüllte Halle, nahm den Aufzug auf Gleis 5 und eilte zum Zug nach Travemünde. Da passten wir so gerade noch rein. Einmal mit der Enge arrangiert wanderte der Blick von betretenem Gesicht zu betretenem Gesicht. Dann kam die Durchsage noch einmal: "Die Abfahrt verzögert sich um unbstimmte Zeit". Ticket hin Ticket her - hier sollte mein Tag nicht enden. Entschuldigung, Achtung, Vorsicht, darf ich mal.....schon nach 20 Minuten war ich wieder auf der Straße mit der Absicht nun einfach los zu fahren, grobes Ziel: Lübeck.


Krusenstern habe ich mein Scooterbike vor ein paar Tagen getauft. Stilecht kyrillisch beschriftet. mit einem Schneidplotter, der passenden Transferfolie und ein bischen Fummelei ist das kein Problem. Knallrot auf leuchtend gelb, ich finde es ist ein Hingucker. Desweiteren wurde (unter Flüchen) die zugehörige Tasche für den Hund repariert. Leider haben diese 100+ € teuren Teile einen Konstruktionsmangel und reißen immer wieder an der selben Stelle. Ein erneutes Einsenden an den Hersteller hielt ich für sinnlos, aber der Plan, die Schwachstelle mit stabilem Gurtband zu verstärken hat funktioniert. So läßt sich nun der Pinscher wieder sicher und geschützt transportieren. 


Erst mal raus aus der Stadt, hatte ich Muße die elektronische Landkarte zu studieren. Lübeck? - langweilig! Man könnte doch auch...... genau! Mölln, Ratzeburg, Reinfeld - macht 100 km für den Fittnessplan, fürs Herz, für die Beine und für die Seele. Die grobe Navigation, schließlich war die Entscheidung spontan, übernahm das kleine Gerät an meinem Lenker, und dies überwiegend wunderbar. Heruntergefallene Eicheln mit dicken Ballonreifen knacken - unerklärbar, Männervergnügen. Überwiegend endete dann zunächst einmal irgendwo kurz vor Möllen auf quasi unbefahrbaren Feldwegen. Ich werde nie verstehen, wie man Sandwege als Radwege deklarieren kann. Traktorreifen hatten ihnen den Rest gegeben. Mir blieb nur Schieben, und selbst das war mühsam. 


Fluchend dahinschiebend stieg mir ein herrlicher duft in die Nase. Diesmal nicht, wie sonst üblich, aus meiner großen grünen Tasse, sondern vom Feld nebenan. Ich schob durch die wohl größe Pfefferminzplantage die ich je gesehen habe und um mich ein wenig zu trösten bediente ich mich reichlich an den sattgrünen Blättern. 


In Mölln, der Eulenspiegelstadt, war mir nach Kaffee. Ein Billigbäcker auf einem großen Platz mit netter Draußensitzmöglichkeit bot sich an. Käsekuchen -  etwas verschämt druckste die sehr junge Verkäuferen, sie habe keine Teller mehr, und Löffel für den Kaffee seien auch alle. Wir einigten uns auf Pappschale und Kuchengabel. Draußen auf den Tischen und an der Rückgabestelle türmte sich das Geschirr. Ich musste schmunzeln und gab ein gutes Trinkgeld. Die junge Dame war der Sache wohl noch nicht ganz gewachsen. 

Weiter Richtung Ratzeburg, im Wald an der Farchauer Mühle feierte man Hochzeit. Frauen in furchtbaren Kleider schleppten Geschenke und Männer in schlecht sitzenden Anzügen mit mürrischem Gesicht hinter sich her. Ich kurvte auf grobem Schotter um die Gesellschaft herum und dankte Gott (ich muss beizeiten mal darüber nachdenken, ob es sie wirklich gibt, aber danken schadet ja nicht), dass ich diesem Zinnober hier und heute nicht beiwohnen muss und stattdessen in hautengem buntem Spandex gehüllt, auf einem sehr seltsamen Fahrrad, mit einem Pinscher im Körbchen, alleine durch den Wald preschen darf - welch ein Segen, welch eine Freude. Was die wohl von mir gedacht haben mögen?


Wie eine Perle lag Ratzeburg am See in der Abendsonne. Ich hätte verweilen wollen, aber es wird zur Zeit schon recht früh dunkel und auch kühl. Die Landschaft ist hügelig. "Zu verschenken" stand an einer Kiste mit Äpfeln am Wegesrand. Kauend strampelte es sich viel einfacher bergauf. Eine Weile folgte ich dem Elbe-Lübeck-Kanal. Die Stadt war schon in Sicht, als ich nach Norden, wieder einmal stramm bergan, auf einen Funkturm zusteuerte um sogleich hinab ins Travetal zu sauste von wo ich nur noch wenige Kilometer bis in die Karpfenstadt Reinfeld hatte. "Wo hält denn der Fahrradwagen?" Drei Menschen deuteten unabhängig voneinander auf dem Bahnsteig nach Osten. Warum hatte ich überhaupt gefragt? Meiner Intuition folgend schob ich Rad samt Pinscher Richtung Westen. Es ist gut seiner Intuition zu folgen.