Russland Four-Thirds
Mit der Olympus E420 durch Sibirien
Haben Sie diesen Traum nicht auch schon einmal geträumt:
Einmal im Leben mit der Transsibirischen Eisenbahn um die halbe Welt fahren?
Den Stress des Alltags einfach zu Hause lassen, dieses scheinbar unendliche
Land erkunden? Das pulsierende schrille Moskau erleben? Endlose Stunden aus dem
Fenster eines fahrenden Zuges schauen, ihre Arbeit vergessen? Bei
ohrenbetäubender Stille am Baikalsee wieder das eigene Ich finden? Unbekannte
Millionenstädte jenseits des Ural entdecken und dann endlich am Ziel ihres
Traumes, den Blick am Goldenen Horn über den Pazifik schweifen lassen? In der
Phantasie habe ich diese Reise schon 1000 Mal gemacht – aber in diesem Sommer
war es an der Zeit, es wirklich zu tun. Zwei Semester russisch an der
Volkshochschule sollten mir im Gespräch eine Chance zur Verständigung bieten
und auch die kyrillischen Schriftzeichen lesen zu können, stellte sich im
russischen Alltag als sehr vorteilhaft heraus. Endlose Stunden der Internet-Recherche
waren vergangen. Die Visa lagen in der Schublade, Flüge, Züge und Unterkünfte
waren gebucht – dem Sparschwein knurrte der Magen und natürlich war die
Fotoausrüstung wohl bedacht zusammengestellt. – Mitte Mai, noch 6 Wochen bis
zum Abflug nach Moskau, und langsam baute sich diese wohlige Spannung auf, die
man vor solch einer Traumreise hat.
Von diversen Zweifeln geplagt werden, gehört sicherlich auch
zu solch einer Reise. Wie wird das Wetter, sind die Menschen freundlich, habe
ich das richtige Schuhwerk, was passiert, wenn ich einen der vielen Züge
verpasse, ist meine Fotoausrüstung optimal zusammengestellt? Schließlich soll
die fotografische Dokumentation der Reise viele Jahre Grundlage für schöne
Erinnerungen sein, zudem möchten die Zurückgebliebenen in der Heimat nach der
Reise etwas sehen und das soll wie gewohnt beeindruckend sein. Mit auf die Reise
sollte meine Nikon D300 nebst lichtstarker Zoomobjektive, einem stabilen Stativ
und dem obligatorischen Kleinkram. Die mit Bedacht zusammengestellte Ausrüstung
dürfte zumindest aus technischer Sicht beeindruckende Reiseerinnerungen
liefern.
Beim Probepacken, lange bevor die Reise losgehen sollte,
kamen dann jedoch erste Bedenken. Knapp 6 kg brachte die Fotoausrüstung auf die
Waage, rund 1/3 vom zulässigen Gesamtgepäck, das Aeroflot seinen
Flugpassagieren zugesteht. In Anbetracht der klimatischen Verhältnisse muss man
in Sibirien auch im Sommer auf alle möglichen Wetterkapriolen gefasst sein und
entsprechende Kleidung vorhalten. Außerdem mussten noch Geschenke für russische
Gastfamilien, ein Paar Schuhe zum Wechseln und nützliche Kleinigkeiten, vom
Schweizer Taschenmesser, einem GPS Gerät über den Isolierkaffeepott bis hin zur
Taschenlampe ins Gepäck für die geplante vierwöchige Reise. Auch die Vorstellung
6 kg Fotoausrüstung tagelang durch die sibirische Taiga zu schleppen
verursachte Bauchschmerzen. Dazu kam eine diffuse Angst, 5.000 € elektronischer
Gerätschaft nachts durch finstere Moskauer Seitenstraßen spazieren zu führen
oder versehentlich bei einem Bootsausflug auf dem Baikalsee in eine Tiefe von
1.700 m zu versenken. Doch welche Alternative gibt es?
Reisen mit einer Kompaktkamera kommt für mich nicht in
Frage. Zu oft schon habe ich mich über die gruselige Bildqualität diverser
Vertreter dieser Kameragattung geärgert. Bildrauschen schon bei moderater ISO
Einstellung, deutlich sichtbare Verzeichnungen bei Architekturaufnahmen und
eine Auslösungsverzögerung jenseits des Erträglichen sind nur einige der
Kritikpunkte. Mit jeder neuen Kompaktkamerageneration hatte ich die Hoffnung,
dass dies ein Ende hätte. Immer wieder bin ich enttäuscht worden. Schlimmer
noch, ich habe den Eindruck, dass der Megapixelwahn der letzten beiden Jahre
sogar zu einer allgemeinen Verschlechterung der Bildqualität geführt hat.
Reisen mit 2-3 guten Festbrennweiten im Gepäck? Sicherlich eine Alternative –
aber sehr schnell taucht dann das Gespenst des für immer und alle Zeiten
verpassten Motivs auf, weil grade die falsche Brennweite auf der Kamera
montiert war.
Während mich tagelang die Überlegungen quälten, fiel mir der
Prospekt eines benachbarten Fotohändlers in die Hände: „Die weltweit
kompakteste D-SLR“ pries man dort an. Die damals brandneue Olympus E-420 im Set
mit zwei Standartobjektiven und dies zu einem durchaus attraktiven Preis.
Schnell rief ich im Internet die verfügbaren Basisinformationen, Testberichte
des Vorgängermodells (aktuelle gab es noch nicht) und Vergleichspreise ab. Ein
Besuch beim Händler überzeugte mich dann endgültig – das ist meine
Russland-Kamera, der tragbare Kompromiss. Seit Jahren auf das Nikon-System
eingestellt, fiel mir der Umgang mit der Olympus E-420 wider Erwarten leicht.
Die Bedienung ist logisch und der Body macht einen grundsoliden Eindruck.
Ebenso die beiden mitgelieferten Kit-Objektive. Das Zuiko Digital ED 14-42
1:3.5-5.6 ist zudem für ein Objektiv der Amateurklasse erstklassig gefertigt.
Zoom- und Fokusring sind angenehm leichtgängig. Aufgrund der geringen
Lichtstärke der beiden Kit-Objektive und weil es so klein und leicht ist, konnte
ich der Versuchung nicht widerstehen, mir vor Antritt der Reise noch ein
Olympus Digital 25mm 1:2.8 Pancake Objektiv zu kaufen. Die Neugier auf diese
nur 95g schwere halbwegs lichtstarke Festbrennweite war zu groß. Vorweg – ich
habe es nicht bereut und der kleine Schatz hat auf der Reise große Dienste
geleistet.
Mitte Juli ging es dann endlich los. Zu viert hatten wir
monatelang die Reise geplant. Vom Berliner Flughafen Schönefeld brachte uns ein
Airbus der Aeroflot nach Moskau. Nach zweitägigem Aufenthalt sollte die
Bahnfahrt Richtung Osten am Jaroslawler Bahnhof, dem KM 0 der Transsib starten.
Vier Wochen lang würde uns die Reise, quer durch das größte Land der Erde, bis
zum Endpunkt bei KM 9288 am Goldenen Horn in Wladiwostok führen. Die reine Bahnfahrzeit
summiert sich auf 8 Tage und Nächte. Geplante Stopps sollten sein, Krasnojarsk,
mit knapp 1 Mio. Einwohner die drittgrößte Stadt Sibiriens, ein kleines Dorf in
der westsibirischen Taiga namens Birjusa und Irkutsk, die Metropole der
Baikalregion. Am Baikalsee war ein längerer Aufenthalt geplant. Von Irktusk
startete die Fahrt mit einem Touristenzug auf der alten Baikalbahn entlang des
Sees bis Port Baikal. Von dort weiter mit einer Fähre über den einzigen Abfluss
des Baikalsees, der Angara, nach Listwjaka, der, sollte es nach dem Willen der
Bürgermeisterin gehen, künftigen Tourismusmetropole am Baikalsee. Ein Taxi
sollte uns von dort Richtung Norden bis zur Fähre auf die größte Baikalinsel
Olchon bringen. Dort war dann eine einwöchige Pause geplant. Zurück in Irkutsk
sollte die Weiterfahrt auf der transsibirischen Eisenbahnstrecke mit kurzen
Aufenthalten in Ulan-Ude und Chabarowsk bis zum Endpunkt im Pazifikhafen
Wladiwostok führen. Dann würde der letzte und wohl härteste Teil der Reise auf
uns werten, fast 30 Stunden Rückreise über Moskau und Berlin bis ins
heimatliche Hamburg. Doch dies lag noch buchstäblich in weiter Ferne.
Moskau – eine Stadt der Superlativen. Mit deutlich über 10
Millionen Einwohnern die größte Metropole Europas. Am Nordrand des Stadtzentrums
wachsen am Ufer der Moskwa seit Mitte der 90er Jahre, in der Moscow City, ein
guter Dutzend Wolkenkratzer in den russischen Himmel. In der warmen Jahreszeit
pulsiert auf dem Roten Platz, im nahen Alexandergarten und auf der Flaniermeile
Arbat das Leben. Auf einer Länge von 80
km strömt die Moskwa in weiten Bögen träge durch die Stadt. Sicherlich, der
Rote Platz mit den Türmen der farbenfrohen Basilius-Kathedrale auf der einen
und den Kreml-Türmen auf der anderen Seite wurde schon millionenfach
fotografiert. Die fotografische Herausforderung, ein besonderes Foto zu
schießen, ist nicht einfach. Weitere Highlights im Stadtzentrum sind, neben dem
Kreml, die Jahrhunderte alte Stadtfestung, das Kaufhaus GUM, mit seinen
beeindruckenden Hallen und langen Glasdächern und die
Christ-Erlöser-Kathedrale, dem zentralen Gotteshaus der
Russisch-Orthodoxen-Kirche, der 103 m hohe Kuppelbau 1931 zerstört und im Jahr
2000 neu errichtet. Die Sieben Schwestern, Hochhäuser im prachtvollen
stalinistischen Zuckerbäckerstil sind aus dem Stadtbild nicht wegzudenken,
Eyecatcher in jedem Stadtpanorama. Das größte beherbergt die
Lomonossow-Universität, ein weiteres das russische Außenministerium, zwei der
Häuser werden als Hotelanlage benutzt und die verbleibenden beiden dienen als
luxuriöse Wohnhäuser der oberen Preisklasse. Ein fotografisches Muss ist die
Moskauer Untergrundbahn. Die prachtvollen Stationen der Moskauer Metro auf der
Ringlinie Kolzewaja, gleichen eher prunkvollen Palästen denn schnöden
Zweckbauten. Zur Rushhour jagen die langen Züge im 45 Sekunden Takt durch den
Untergrund. Mit jährlich 3 Milliarden Fahrgästen ist die Moskowskoje Metro das
wohl weltweit effizienteste Nahverkehrssystem. Fotografieren indes ist nicht
einfach – zum einen ist es aus Sicherheitsgründen nicht erwünscht, zum anderen
ist das Benutzen eines Stativs wegen der stetig fließenden Fahrgastströme
unmöglich. Dennoch sind mir mit dem kleinen, leichten Pankace-Objektiv einige
beeindruckende Aufnahmen der unterirdischen Kathedralen gelungen. Viele gute
Vorsätze bezüglich meines fotografischen Vorgehens in der russischen
Hauptstadt, musste ich schon nach ganz kurzer Zeit über Bord werfen. Zum einen
hatte die Geduld meiner nicht fotografierenden Mitreisenden Grenzen, zum
anderen waren 2 ½ Tage Aufenthalt rückwirkend betrachtet doch sehr knapp
bemessen. So fühlte sich dieser Teil der Reise auch ein wenig wie ein
Foto-Marathon an.
Auf der mit 9288 km längsten durchgehenden Eisenbahnstrecke
der Welt sind rund um die Uhr unzählige Züge zwischen den 396 Bahnhöfen
unterwegs und befahren mehr oder weniger lange Streckenabschnitte. Das Zugpaar
1 in der Ost-West Richtung und 2 in der umgekehrten Richtung jedoch, fahren die
gesamte legendäre Eisenbahnstrecke ohne die Notwendigkeit eines Zugwechsels.
Jeweils an ungeraden Tagen verlässt ein Zug mit der Nr. 2 Moskau und erreicht
den Pazifik 8 Tage später. Am Abend des
dritten Reisetages war es dann endlich soweit. Nachdem eine freundliche
Zugbegleiterin die Fahrscheine beim Einsteigen kontrolliert und uns unsere
beiden Abteile gezeigt hatte, setzte sich Zug Nr. 2 „Россия“ (Russland) langsam
in Bewegung. Es war ein großartiger Augenblick. Im Zeitalter der
Billig-Airlines ist uns als Reisenden das Gefühl von Weite fast abhandengekommen.
Auf dieser Reise sollte es anders sein, ich wollte die Weite des Landes Meter
für Meter spüren.
Aus fotografischer Sicht legte sich die Euphorie recht
schnell. Russische Fernreisezüge sind klimatisiert und kein Fenster lässt sich
öffnen. Beim Fotografieren aus dem Abteil muss man mit Reflektionen an den
meist schmutzigen Fensterscheiben kämpfen und wie sich schnell herausstellte,
war die Reisegeschwindigkeit von 80-100 Stundenkilometern in den meisten
Situationen zu schnell, um scharfe Fotos zu schießen. Ein kleiner Trost war,
dass die westsibirische Taiga ohnehin kaum würdige Fotomotive liefert.
Schnurgerade verläuft die Breitspurtrasse über viele hundert Kilometer durch
sumpfige Birkenwälder. Gras, Bäume und eine Menge Nichts. Das mit Spannung
erwartete Uralmassiv, die Grenze zwischen Europa und Asien, entzauberte sich
dann auch nur als Hügelkette, die die Transsib in einer unspektakulären Höhe
von gut 400 Metern überquert. Lediglich ein Obelisk bei Kilometer 1777 markiert
die Grenze zwischen den Kontinenten. Bleibt, die fotografische Aktivität auf
die wenigen längeren Stopps des Zuges zu beschränken. Auf unserer ersten Etappe
von Moskau nach Krasnojarsk heißen diese Perm, Jekaterinburg, Omsk und
Nowosibirsk. Zwischen 3 und 20 Minuten dauert ein solcher Stopp. Passagiere
steigen ein und aus, das Personal wird gewechselt, Proviant und Wasser werden
aufgefüllt und das Fahrgestell des Zuges von Mechanikern mit kleinen Hämmerchen
und Infrarotthermometern in Augenschein genommen. Fliegende Händler breiten ihr
Warenangebot auf den Bahnsteigen aus, Lebensmitteln und Getränke,
Toilettenartikel, Souvenirs. Grotesk sieht es aus, wenn jemand bei sengender
Sommerhitze Fellmützen und Pelzstiefel feilbietet – doch wir sind in Sibirien,
der Sommer ist kurz und der Winter kalt und dauert ewig. Da ich mich auch
selbst mit der einen oder anderen Köstlichkeit versorgen wollte, waren dies
Fotoausflüge sehr kurz. Ein Fall für das 25mm Normalobjektiv, liefert es doch,
mit seinem der menschlichen Wahrnehmung entsprechenden Blickwinkel,
eindrucksvoll authentische Fotos des bunten Treibens auf den Bahnsteigen. Im normalen Fotoalltag hält sich meine
Begeisterung für die Automatikfunktionen von Digitalkameras in Grenzen, bei dem
gegebenen Zeitdruck jedoch war es das Mittel der Wahl. Bei kritischen Motiven
habe ich zwei- oder dreimal auf den Auslöser gedrückt um die Trefferquote zu
maximieren. Ich kann der Olympus E420 in dieser Disziplin eine gute Note
bescheinigen. Der Autofokus ist treffsicher und die Belichtung stimmt meist auf
den Punkt. Mit dem kleinen, leisen Pankace-Objektiv lassen sich im Bedarfsfall
schnell und unauffällig “Aufnahmen aus der Hüfte“ schießen. Problematisch sind
Fahrtunterbrechungen im Dunkeln, zwar sind die Bahnhöfe meist sehr gut
ausgeleuchtet, jedoch reicht das Licht für Freihandaufnahmen nie aus. Der Plan,
das mitgenommene Stativ aufzubauen, war mangels Zeit und im Hinblick auf die
Verkehrssicherheit auf den engen Bahnsteigen zum Scheitern verurteilt. In diesen Fällen habe ich die ISO
Empfindlichkeit der Kamera auf ISO 400 oder ISO 800 hochgeschraubt und die
Kamera an einem festen Gegenstand abgestützt oder aufgelegt. Einige
stimmungsvolle Reiseerinnerungen sind so entstanden.
Mit knapp einer Million Einwohnern ist Krasnojarsk die
drittgrößte Stadt Sibiriens. Zwei Tage, drei Nächte und 4100 Schienenkilometer
von Moskau entfernt liegt die Metropole im Herzen Sibiriens. Nein, malerisch
sieht sie nicht aus. Von unserem, noch deutlich mit sowjetischem Charme
behafteten, Hotel am linken Ufer des Jenisseis schweift der Blick über
ausgedehnte Industrieareale auf der anderen Seite des Flusses. Rund um die Uhr
fließt ein nicht abreißender Fahrzeugstrom über die vierspurige Straßenbrücke
in die Stadt. Krasnojarsk scheint im Verkehrschaos zu ersticken. Eine seit 1986
im Bau befindliche U-Bahn verheißt Besserung, aber zunächst einmal bleibt dicke
Luft und dichter Verkehr angesagt. Trotzdem, während unseres kurzen Aufenthaltes
zeigte sich die Stadt auch von ihrer angenehmen Seite. Noch einige der
prachtvollen sibirischen Holzhäuser aus dem beginnenden 19. Jahrhundert stehen
im Stadtzentrum. Neuere Bauwerke mit fast italienisch anmutender Architektur
datieren wohl auf die vorletzte Jahrhundertwende. Seit ein paar Jahren zieren
auffallend viele Brunnen die Stadt und ein Spaziergang über den „Prospekt
Mira“, der Einkaufsstraße, lohnt ebenfalls. Vom Einbruch der Dunkelheit bis in
die frühen Morgenstunden herrscht in der kurzen Sommersaison zwischen den
Springbrunnen vor der Oper und dem Ufer des Jenisseis ein buntes Treiben. Meist
jugendliche Russen treffen sich hier zum Klönen, lauschen Straßenmusikern oder
trinken Bier aus Dosen. Um diese Stimmung einzufangen, kam zum ersten Mal das
mitgebrachte Stativ zum Einsatz. Das Slik Sprint Mini GM passt mit seinem 36 cm
Packmaß und einem Gewicht von 740g Prima in den Reiserucksack und auch in jeden
Day-Pack. Die Bedienbarkeit des kleinen
Kugelkopfes und die maximale Arbeitshöhe zahlt jedoch den kompakten Abmessungen
Tribut. Gut, wenn man sich mit der Bedienung seiner Kamera und den Features vor
einer Reise schon eingehend beschäftigt hat. Auf das Stativ montiert lassen
sich mit Selbstauslöser und der Spiegelvorauslösung (im Kameramenue Anti-Schock
genannt) bei niedriger ISO Einstellung mit der E420 perfekte, verwacklungsfreie
und rauscharme Nachtaufnahmen anfertigen.
Nur eine Nacht dauerte die Zugfahrt bis zum nächsten
Zielbahnhof Taischet. Beim ersten Morgentee aus dem Samowar des Nachtzuges,
beobachteten wir einen prachtvollen Sonnenaufgang über der dunstigen Taiga, die
Belohnung für das frühe Verlassen der Schlafkoje. Am Bahnhof erwartete uns
Schenja, ein freundlicher, hagerer, hoch gewachsener Mann mit goldenen
Schneidezähnen Unser russischer Gastgeber chauffierte uns in sein Heimatdorf
Birjussa am gleichnamigen Fluss. Zum ersten Mal auf dieser Reise hatten wir die
urbane Zivilisation hinter uns gelassen. Unbefestigte Straßen, kleine
Holzhäuser landschaftstypischer farbenfroher bemalt mit kunstvollen
Verzierungen, dazwischen Gärten mit Kartoffeln, Kohl, Rote Beete und Dill – den
einzigen Nutzpflanzen, die in der kurzen sibirischen Vegetationsperiode in
größerem Umfang angebaut werden können. Ein gefühlter Zeitsprung von 100
Jahren, hätten wir nicht eben noch in einem geräumigen Van aus japanischer
Produktion gesessen. Unsere Unterkunft war bescheiden aber schmuck. In Birjussa
gibt es elektrischen Strom (was nicht selbstverständlich ist), eine öffentliche
Wasserversorgung jedoch nicht. Brauchwasser holt man am Fluss, Trinkwasser
spendet der hauseigene Brunnen im Garten. Ein Waschbecken, ebenfalls im Garten,
und die obligatorische Banja dienen der täglichen Körperhygiene. Etwas abseits
am Kartoffelfeld befindet sich das in Sibirien übliche Plumpsklo in einem
kleinen Holzhäuschen. Für verwöhnte Mitteleuropäer eine nicht gerade üppige
sanitäre Ausstattung, die besonders nachts ihre Tücken offenbart.
Am Nachmittag waren wir zum Picknick in die Taiga
eingeladen. Auf einem mit Außenbordmotor betriebenen Aluminiumkahn folgten wir
eine knappe Stunde dem Flusslauf der Birjussa zu einem versteckten Lagerplatz.
Ein herrlicher Flecken Erde, etwas oberhalb des Flusses, von Birken umstanden
inmitten hüfthoher blühender Kräuter und Blumen. Schenja entfachte ein
Lagerfeuer und kochte aus frisch gepflückten Kräutern und mitgebrachtem
Schwarztee ein Getränk, das gesüßt mit einer Beerenmarmelade sehr
wohlschmeckend war. Seine Frau Lena bereitete derweil aus Roten Beeten,
Zwiebeln Weißkohl, Kartoffeln, und Rindfleisch den russischen Nationaleintopf
Borschtsch vor. Salz, Pfeffer und ein Schuss saure Sahne, dazu ein Stück Brot –
ebenfalls köstlich. Den nächsten Tag nutzten wir für einen Spaziergang durch
das Dorf. Ein zentraler Platz, Postamt, ein Dorfladen, immer wieder
Kartoffelfelder, am Ortsrand ein Kinderheim, Viehhirten trieben eine kleine
Kuherde von der Weide in die heimischen Ställe. Eine Flussbrücke, einziger Weg
über den ehemals das Nachbardorf erreicht werden konnte, hatte eine Flut vor
Jahren weggespült. Die idyllischen Fotos, die in Birjussa bei strahlend blauem
Himmel entstandenen, täuschen ein wenig über die Armut hinter vielen Fassaden
hinweg. Der Abschied von unserer freundlichen Gastfamilie fiel uns schwer.
Am Südufer des Baikal
Unser Aufenthalt in Irkutsk reichte gerade zu einem
Spaziergang am Ufer der Angara, und einem gemeinsamen Abendessen bei unserer
Gastfamilie. Früh am nächsten Tag wartete am Bahnhof ein Touristenzug, der uns
über Sljudjanka auf der alten Bahntrasse direkt am Seeufer entlang nach Port
Baikal bringen sollte. Zwar gibt es auf diesem heutzutage wirtschaftlich
unbedeutenden Streckenabschnitt auch täglich eine fahrplanmäßige Zugverbindung,
doch lockte der Touristenzug mit zusätzlichem Komfort und geplanten Fotostopps
an lohnenden Stellen. Behäbig setzte sich der Zug, beladen mit 400 Touristen,
bei dichter Bewölkung und Nieselregen im Morgengrauen in Bewegung. Zwei Stunden
später, der Zug näherte sich gerade Sljudjanka, einem Ort an der südwestlichen
Spitze des Baikalsees, hatte der Wettergott ein Einsehen. Die nun aufgerissene
Wolkendecke gab einen ersten majestätischen Blick auf den Baikalsee preis. Das
war er also, das heilige Meer der Burjaten, das größte Süßwasserreservoir, der
tiefste und älteste See der Erde, seit 1996 UNESCO Weltnaturerbe.
In Sljudjanka machte der Zug Kopf und fuhr von nun an in die
Gegenrichtung auf der eingleisigen Zweigstrecke entlang des Sees. Unzählige
Tunnel und Brücken liegen auf dem Weg, vereinzelt kleine Dörfer, für die das
Bahngleis, neben dem Weg über den See, die einzige Verbindung zur Außenwelt
ist. An Fotomotiven mangelte es hier nicht, jedoch war schnelles Handeln das
Gebot der Stunde, der Zug spie bei jedem Halt eine bunte Touristenschar in die
Landschaft. Der Blick in die noch unberührte Natur war nur den Reisenden
vergönnt, die den Zug zuerst verließen. Ein bedrückendes Industrialisierungszeichen
begleitete uns an diesem Tag über viele Stunden. Der Blick auf die Rauchsäulen
des gigantischen Papier- und Zellstoffkombinat Baikalsk, auch das „Monster vom
Baikal“ genannt, am gegenüberliegenden Seeufer. Seit 1966 werden hier schwer
belastete Industrieabwässer nahezu ungefiltert in den See geleitet, dessen
Wasser sonst fast überall Trinkwasserqualität hat. Nationale Proteste dagegen
waren bisher verhalten, da viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen,
internationale Proteste durchweg erfolglos. .
Gegen Abend erreichten wir Port Baikal. Früher, vor der Fertigstellung der
Transbaikalbahn, war dies der bedeutendste Hafen am See. Von hier aus brachten
zwei Dampffähren Eisenbahnwagons auf die östliche Seeseite zur Weiterfahrt
Richtung Pazifik. Vom einstigen Glanz kündet lediglich eine etwas
überdimensionierte, teilweise zerfallene Hafenanlage und zwei Dutzend
Holzhäuser. Nördlich von Port Baikal fließt die Angara, als breiter Strom, aus
dem Baikalsee. Ein kleines Fährboot brachte uns auf die gegenüberliegende
Flussseite nach Listwjanka, wo wir für die kommende Nacht Quartier bezogen.
Omul und Edelweiß, Schamanenfels und Jugendherbergsstimmung
auf Olchon
Viktor, unser Taxifahrer, hatte es offensichtlich eilig. Die
Zeit für einen Tankstopp, sowie das Mittagessen an der Autobahn nördlich von
Irkutsk, waren knapp bemessen und auch die durchschnittliche Geschwindigkeit,
mit der er seinen japanischen Van bewegte, ließ darauf schließen. Für
Fotostopps blieb keine Zeit – sehr schade, blauer Himmel mit kleinen
Schönwetterwölkchen, eine grandiose Tundra-Landschaft, kleine Salzseen links
und rechts der Straße und auch die Piste selbst, die schnurgrade die hügelige
Landschaft teilt, waren lohnende Motive. Versuche, aus dem fahrenden Auto zu
fotografieren scheiterten, zum einen an der hohen Geschwindigkeit, zum anderen
an der zunehmenden Anzahl toter Insekten auf der Windschutzscheibe. Der Grund
für Viktors Eile wurde später klar. Das letzte Drittel unseres Weges zur
Baikalinsel Olchon ist nicht asphaltiert, auf der Insel selbst gibt es
lediglich Schotterpisten und auch die Fährverbindung zur Insel hat Tücken, mehrere
Stunden Wartezeit sind keine Seltenheit. So benötigen wir für die ca. 400 km
lange Strecke von Listwjanka nach Chuschir auf Olchon doch einen ganzen Tag.
Olchon ist die größte Baikalinsel. Sie erstreckt sich
entlang der Westküste über eine Länge von 72 km bei einer durchschnittlichen
Breite von 10 km. Die höchste Erhebung ist mit 1.276 m der Berg Schima im
Nordosten der Insel. Nur 1.500 Menschen, größtenteils burjatischer Abstammung,
bevölkern das Eiland, die meisten leben im Hauptort Chuschir. Am Nordrand des
Ortes betreibt der Russe Nikita Bentscharow ein internationales Touristen Camp
und verfolgt damit ein nachhaltiges, natur- und kulturnahes, ökologisch
sinnvolles Tourismuskonzept. Die Begegnung mit dem Baikalsee steht im
Mittelpunkt, nicht dessen touristische Ausbeutung, entsprechend gestalten sich
das Freizeitangebot und die Ausstattung der Unterkünfte. Lagerfeuer statt
Disco, kulturelle Veranstaltungen statt exzessivem Alkoholkonsum, geführte
Wanderungen statt Wasserski stehen auf dem Programm. Fließend Wasser gibt es im
Camp nicht, die angebotene Verpflegung ist einfach aber schmackhaft. Kaffee und
Tee bekommt man kostenlos zu jeder Zeit. Der mit Holzbänken und Blumenbeeten
nett gestaltete Platz vor der Rezeption ist Ort der Begegnung. Überwiegend aus
Europa, Japan und Australien kommen Touristen hierher und finden schnell
interkulturellen Kontakt. Ein wenig Jugendherbergsstimmung stellte sich ein.
Sieben Tage Ruhe auf Olchon, nach zwei Wochen Reise war dies
der Urlaub im Urlaub, kein Wecker, kein Fahrplan, Zeit zur Muße, Zeit für die
einzigartige Natur und natürlich Zeit zum Fotografieren, vielleicht auch Zeit
für ein kurzes Bad in dem, auch im Sommer, eisigkalten See. Olchon ist ein
Paradies für Naturfreunde. Ausgedehnte Graslandschaften im Südwesten, ein dicht
bewaldeter Gebirgszug im Norden und im Osten, ein flacher schwefelhaltiger See
in der Mitte der Insel, weite menschenleere Sandstrände im Wechsel mit schroff
abfallenden Steilküstenabschnitten bieten reizvolle Abwechslung. Die Tier- und
Pflanzenwelt hier ist im wahrsten Sinne des Wortes einzigartig. Viele Arten
sind endemisch, prominente Beispiele sind der Omul, ein lachsartiger,
wohlschmeckender Speisefisch oder die Baikalrobbe, die einzige Robbenart, die
im Süßwasser lebt. Bei Spaziergängen über die weiten Tundra Flächen entdeckt
man Blumenwiesen mit Edelweiß, Enzian und Rittersporn. Seltene Flechten wachsen
auf schneeweißen Quarzadern und vielleicht hat man auch das Glück, einen der
seltenen Apollofalter zu sehen.
Die Tage auf der Baikalinsel vergingen dann doch wie im
Flug. Eine Mountainbike Tour über den Bergrücken an das Ostufer der Insel über
sanfte unbewaldete Hügel auf der einen und durch dichte Birkenwälder auf der
anderen Inselseite bescherten mir wundervolle Landschaftsmotive und eine Fülle
kleiner Naturdetails. Bei einem Bootsausflug zum 40 km entfernten Kap Choboi,
der Nordspitze der Insel, zeigte sich das Wetter von seiner stürmischen Seite.
Der Skipper reichte Fischsuppe, da ich jedoch nicht hundertprozentig seefest
bin, beließ ich es bei einem heißen Tee. Im Norden angekommen, hatte sich das
Wetter beruhigt. Das Wasser schimmerte dunkelblau und die roten Felsen der
Steilküste, durchzogen von weißen haushohen Quarzadern hoben sich perfekt vor dem
blauen Himmel ab. Die marode Hafenanlage von Chuschir, mit ihren gestrandeten
alten Fischerbooten und der ausgebrannten Fischfabrik im Hintergrund zeugen vom
wirtschaftlichen Niedergang des Ortes, sind jedoch zu jeder Tageszeit lohnende
Fotomotive. Breite staubige, zuweilen schlammige Straßen, durchziehen den Ort.
An fast jedem der hölzernen Wohnhäuser findet man skurrile Details, kunstvoll
geschnitzte Holzfenster, farbenfrohe Zäune und prächtiger Blumenschmuck in den
Vorgärten. Halbwilde Hunde liegen träge
in der Mittagssonne, oftmals queren freilaufende Kühe die Dorfstraße und
trotten zum Trinken an den Strand. Motoradgespanne mit hölzernen Beiwagen, bunt
bemalte Omnibusse, Tanklaster aus den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts,
die wenigen motorisierten Fahrzeuge auf der Insel ziehen den Blick auf sich.
Die bekannteste Sehenswürdigkeit der Insel jedoch ist der Schamanenfels unweit
des Camps. Der markante, weit in den See reichende, Felsen wird seit
Jahrhunderten als Heiligtum verehrt. Nach schamanistischem Glauben wohnt hier
ein böser Geist. Nur Schamanen ist es erlaubt, zu rituellen Zwecken diesen
Stein zu besteigen. In respektablem Abstand zum Felsen befinden sich
Opferpfähle. Kleine Opfergaben, Geld, Zigaretten, Wodka aber auch
Sonnenbrillen, Baseballmützen, Schraubenzieher und gar Kondome, sollen den
Geist gütig stimmen. Ob aus Unwissenheit oder Ignoranz, für viele Touristen ist
dieses alte Heiligtum lediglich eine attraktive Klettergelegenheit – sehr
schade, wie ich finde.
Wenn es Abend wird auf Olchon und die Sonne im Westen hinter
dem Baikalgebirge untergeht, dann wird es still, ganz still. Von den letzten
Sonnenstrahlen gestreichelt wird der Schamanenfels tatsächlich zum magischen
Ort. Der See leuchtet purpurn, türkis und lila und Menschen, die aus vielen
Teilen der Welt hierhergekommen sind, schauen sprachlos zu. Fast ist es zu
schade, in diesen Augenblicken in hektische fotografische Aktivität zu
verfallen, aber ein paar Erinnerungsfotos mussten dann doch sein.
Der wilde Osten
Der Abschied von Olchon viel mir schwer. Auf der uns schon
bekannten, und wohl einzig möglichen Route wurden wir in einem Taxi zurück nach
Irkutsk gefahren. Unser Fahrer sprach neben russisch auch recht gut Französisch,
zog aber während der rasanten Fahrt laute klassische Musik der Konversation
vor. Es begann zu regnen, draußen jagte die Teigalandschaft vorüber und aus den
Autolautsprechern erklang Schostakowitsch, eine merkwürdige Stimmung überfiel
uns.
Obwohl wir nun schon drei Wochen unterwegs waren, lagen noch
mehr als 4.000 km der Reisestrecke vor uns. Im Nachtzug überquerten wir das
Hamar-Daban-Gebirge und erreichten im Morgengrauen die burjatische Hauptstadt
Ulan-Ude. Es regnete, als uns unsere Gastfamilie am Bahnhof abholte. Es regnete
immer noch, als wir drei Stunden später mit der Straßenbahn zu einer
Stadtbesichtigung aufbrachen. Es war kein Vergnügen, bei 10° C und heftigem
Dauerregen auf Entdeckungstour zu gehen. Am weltgrößten Lenindenkmal hasteten
wir vorüber und flüchteten in ein Museum für Halbedelsteine. Die nächsten
Fluchtpunkte waren ein Imbiss, ein Schuhgeschäft, eine Kirche und große
Markthallen. Der Niederschlag bekam derweil sintflutartige Ausmaße. Die
schmucke Fußgängerzone und weite Teile der Innenstadt waren überflutet.
Geschäftsleute, Rentner und junge Frauen mit hochhackigen Schuhen versuchten,
mit Regenschirmen bewaffnet, den Fluten zu entkommen. Autos schoben sich in
Senken durch die Wassermassen. Ich hatte kaum Bedenken, bei dieser Gelegenheit
die Wettertauglichkeit meiner Olympus Ausrüstung zu testen.
Schon am nächsten Vormitttag verließen wir Ulan-Ude. Auf der
fast 3.000 km langen Bahnfahrt nach Chabarowsk hatten wir uns ein weiteres Mal
bequeme Zweibettabteile gegönnt. Für weitere fünfzig Stunden war nun ein Zug
auf der transsibirischen Eisenbahnstrecke unser rollendes Zuhause. Die dünnbesiedelte ostsibirische
Gebirgslandschaft beindruckte deutlich mehr als die eintönige westsibirische Tiefebene
zu Beginn unserer Bahnreise. Immer wieder eröffneten sich aus unserem
Abteilfenster grandiose Ausblicke auf wilde Flusstäler und weite hüglige, von
Birkenwäldern unterbrochene Tundralandschaften. Man kann sich nicht satt sehen
an dieser Landschaft. Im klimatisierten Zugabteil spürte man nichts und auch
ein Blick in die Landschaft verriet kaum, dass es draußen immer heißer wurde,
je weiter der Zug nach Osten vordrang. Auf den Bahnsteigen schleppten Männer
mit nackten Oberkörpern Kartons, die Zugbegleiterinnen schwitzten in ihren
korrekten Uniformen. Wieder wurden an den Haltestellen alle denkbaren
Lebensmittel und Getränke feilgeboten. Frische Blaubeeren und Kwas, ein
verbreitetes kohlensäurehaltiges Erfrischungsgetränk, das aus Wasser, Roggen
und Malz hergestellt wird, waren meine Favoriten in der schwülen Hitze.
Natürlich ließ ich keine Gelegenheit aus, interessantes sibirisches
Bahnhofsleben auf meiner Speicherkarte zu bannen.
Unerwartete Perle
Chabarowsk ist anders, als die uns nun bekannten sibirischen
Städte. Schon die Einfahrt über die drei Kilometer lange doppelstöckige Amur
Brücke in die Stadt beeindruckt. Modern und aufgeräumt präsentiert sich die
noch recht junge 600.000 Seelenmetropole. Im Westen schmiegt sich der mächtige
Amur wie ein blaues Seidenband an die Stadt. Hoch über dem Ufer thronen zwei
prächtige, neuerbaute, orthodoxe Kathedralen. Das Zentrum ist hügelig und die
Straßenverläufe, mit den Tramschienen in der Straßenmitte, erinnern ein wenig
an San Franzisco. Am Steilhang zum Fluss und in den Stadttälern erstrecken sich
weitläufige Parkanlagen mit Sporteinrichtungen, kleinen Seen, Blumenbeeten,
Skulpturen und Brunnen. Die günstige geografische Lage beschert der Stadt
unverkennbaren Reichtum. Japanische und koreanische Investoren haben Chabarowsk
als Tor zum Westen entdeckt und große Summen in Infrastruktur und
Produktionsstätten investiert. Bei Temperaturen jenseits der 30° Marke,
unerträglicher Luftfeuchtigkeit, stürmischem Wind und zunächst dichter
Bewölkung, bot das klimatisierte Zimmer im Hotel „Intourist“ eine durchaus
angenehme Alternative zu einem ausgedehnten Stadtrundgang. Tropische Witterung
hatten wir in Sibirien nicht erwartet. Die Neugier siegte letztendlich über die
wetterbedingte Trägheit. Die Erlaubnis
der Hotelverwaltung, ein paar Fotos vom Dach des 15. stöckigen Gebäudes zu
schießen, bereitete mir große Freude.
Überraschend war, dass im Bahnhofsumfeld von Chabarowsk nicht, wie sonst
üblich, mit Reiseproviant gehandelt wurde. So stiegen wir ohne Verpflegung zum letzten
Mal auf dieser Reise in einen Zug der Transsibirischen Eisenbahn.
Die letzten Kilometer
Zug Nr. 5 mit dem bezeichnenden Namen „Okean“ sollte uns
über Nacht zum Ziel unserer Reise, die ca. 700 km südlich liegende Hafenstadt
Wladiwostok bringen. Bis 1991 war diese
Stadt für Touristen und auch für die meisten Russen verboten. Der wichtigste
Stützpunkt der sowjetischen Pazifikflotte sollte weitgehend vor den Augen der
Öffentlichkeit verborgen bleiben. Unser Abendessen im Zugrestaurant war
einfach, der mitgebrachte Hunger machte es gar schmackhaft, der Preis war
angemessen. Unseren mittlerweile recht abgenutzten Reiseführer sprach
Wladiwostok die Eigenschaft eines glamourösen Reiseziels ab, der Bahnhof sei
das wohl beeindruckendste Bauwerk der Stadt, las ich vor dem Einschlafen.
Bei dichtem Nebel rollte der Zug am nächsten Vormittag in Wladiwostok
ein. Tristesse, rostige Wellblechdächer über den Bahnsteigen, der Blick
wanderte über marode Hafenanlagen zu Plattenbauten und uncharmanten
Verwaltungsgebäuden. Im Hafen gleich neben dem Bahnhof dümpelten riesige graue
Kriegsschiffe im grauen Wasser. Der Name „Goldenes Horn“, für diesen Zipfel der
Welt, erschien mir in diesem Moment frei erfunden. 9288 km bis Moskau, war auf
dem Denkmal für den Bau der Transsibirischen Eisenbahn zu lesen. Im Hintergrund
stand eine ausgediente Dampflok. Das obligatorische Gruppenfoto vor dem Denkmal
schoss ein freundlicher japanischer Tourist. Der Reiseführer hatte nicht
unrecht, das Bahnhofsgebäude war tatsächlich eines der schönsten Gebäude der
Stadt. Stilistisch erinnerte es an den Jaroslawler Bahnhof in Moskau, dem
Ausgangspunkt unserer Bahnreise. Unser auf einer Anhöhe gelegenes Hotel
versprach Pazifikblick aus allen Räumen -
bei diesem Wetter ein Wunschtraum.
Den Nachmittag vertrieben wir uns in den Straßen der Stadt.
Es war immer noch furchtbar heiß. Unter dem „Denkmal für die Kämpfer der
Sowjetmacht im russischen Fernen Osten“ fotografierte ich junge Pärchen beim Füttern
der Tauben. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes flackerte auf einem
riesigen Flachbildschirm Werbung für japanische Autos, die lautstarke
Unterstützung über die Lautsprecheranlage erfuhr, die wohl einst zur
Untermalung militärischer Paraden installiert wurde. Mit einem Becher Kwas und
gekauftem Gebäck machte ich es mir auf einer Bank bequem beobachtete das
Treiben und lies die Zeit verstreichen. Dieser Ort mit seinen seltsamen
unwirklichen Reizen eignete sich vorzüglich, noch einmal die Reise Revue
passieren zu lassen. Ich war zufrieden.
Der nächste Tag sollte der längste meines Lebens werden.
Morgens um acht brachte uns ein Taxi zum Flughafen. Kein Fensterplatz im
Großraumjet, der Flug über 7 Zeitzonen nach Moskau war langweilig, immerhin
servierte man der jeweils aktuellen Tageszeit entsprechend zweimal ein
Mittagessen. Zu gerne hätte ich noch einmal einen Blick von oben auf den
Baikalsee geworfen. Auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo, quälende fünf
Stunden Wartezeit auf den Weiterflug nach Berlin. 26 Stunden nach unserem
Aufbruch im fernen Osten lag ich endlich in einem weichen Bett und schlief auch
umgehend ein. Mehr als 6.000 Fotos habe ich auf dieser Reise mitgebracht. Die
Olympus E-420 ist auch nach der Reise, zusammen mit dem hervorragenden 25mm
Pancake Objektiv, zu meinem ständigen Begleiter geworden. Beim Betrachten der
Fotos überfällt mich jedes Mal das Fernweh. Ich werde wieder nach Sibirien
fahren – im Winter, wenn der Baikal zugefroren ist.
Anmerkung:
Dieser Artikel erschien in leicht gekürzter Form im Magazin "Foto Praxis" Ausgabe 04/09 sowie auf dem Fotoblog "digiklix.de" meines Freundes Gordon Gölsken (+)
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