Dienstag, 19. Dezember 2017

I wonder, we wander...



Gehen war noch nie meine Stärke. Ein Trümmerbruch, bei einem Arbeitsunfall vor 30 Jahren, ließ meinen linken Fuß um eine Schuhgröße schrumpfen. Der Achillessehnenabriss auf der anderen Seite, 15 Jahre später, und die 13 darauf folgenden Operationen, machen die Ausgangslage nicht gerade besser, die kurzen Beine erledigen sozusagen den Rest - ich bin geborener Fahrradfahrer. 


Fahrradfahren und Winter - kann machen, geht ganz gut, aber ehrlich gesagt, gefallen wollte mir das noch nie. Die Kälte zehrt, schon wenige Dutzend Kilometer bei Minus-graden fühlen sich an wie ein Marathon. Fährt man zu schnell, dann schwitzt man unter der schützenden Kleidung, bergab kühlt man aus. Laub, Matsch, Dunkelheit Schnee und Eis ermahnen zu Vorsicht, Wasser von oben und unten verderben die Laune. Spitze kleine Steinchen aus dem Streugut machen Plattfüße zum Alltagsgeschäft. Und dann kam auch noch Lotte ins Spiel. 


Dem Radfahren war sie gleich freundlich zugewandt, ein paar wenige schöne Touren hatten wir im Herbst noch gemacht, aber als es kühler wurde fror auch sie, genau wie vormals Pinscher Joschi, im Fahrradkorb. Heimlich hatte ich die Hoffnung gehabt, bei diesem kleinen haarigen Monster sei das nicht so. Mit Lhaso Apso und Shih Tzu im erweiterten Stammbaum, beides Hunderassen aus dem Himalaja, wäre eine gewisse Kälteresistenz nicht abwegig gewesen, doch mir wurde klar, das liegt gar nicht am Hund, sondern am langen Verharren in Bewegungslosigkeit. So dick kann gar kein Fell sein. 


Lotte ist ein Energiebündel, sie liebt rennen und auch für mich ist ein Tag ohne ausreichend Bewegung  zumindest ein ziemlich trister. So wurden dann die Gassigänge immer länger und ganz bald zieht es einen auch aus der Stadt hinaus. Mein Arbeitgeber bot neuerdings eine HVV-Profi-Card an, ganz Hamburg und noch ein Stückchen mehr zum kleinen Preis. Ich schlug zu. 



Zum Wandern braucht es gar nicht viel. Ein kleiner Rucksack, eine Thermoskanne, ein Sitzkissen für Pausen auf feuchten Untergrund, GPS-Gerät, Kamera, wetterfeste Kleidung (auch für den Hund) und schon kann es los gehen. Nunja, fast. Wichtigster Ausrüstungsgegenstand sich passende Schuhe, und damit tat ich mich sehr schwer. Diverse paare Wanderschuhe, auch solche, die ich nach guter Fachberatung gekauft hatte, sind schon in Altkleiderkontainern zwischen Ulan-Ude und Davos gelandet, selten ohne Wut über den hohen, wenn auch angemessen, Kaufpreis. Das letzte Paar ging an Amazon zurück, da sich nach einem halben Jahr das Innenleben unerwartet aufgelöst hatte. Pst....ich mag das Lob gar nicht zu laut hinaus posaunen, ich habe gerade ein paar super leichte, wasserdichte, exzellent passende Exemplare von Salomon in Gebrauch und bin sehr glücklich damit. 


Anregungen holt man sich bei Komoot. Eine Lifetime Mitgliedschaft mit weltweitem Kartenupdate kostet knapp 30 Euro, die Bedienung ist intuitiv. Kann in den meist sehr schön bebilderten Uploads Anderer stöbern, Strecken berechnen lassen oder frei selbst erstellen. Dies funktioniert sowohl am Rechner als auch auf Smartphone oder Tablet wunderbar. Den Track auf das Outdoor Navi herunter geladen, kann man Wegweiser und Landkarte auch in unbekannten Gegenden getrost vergessen. Zur Not ist die Strecke schließlich noch auf dem Smartphone abrufbar.


Wer nun glaubt, die Stadt, oder gar der ganze Norden, habe nichts zu bieten, dem sei gesagt, er/sie irre gewaltig. Obwohl Hamburg sogar einen Alpenverein hat, machen sich die Berge rar. Beim Wald sieht es schon anders aus. Sicherlich gibt es keine endlosen Fichtenwälder wie in Eifel oder Harz, jedoch handelt es sich dort meist um recht unattraktive Monokulturen. Herrliche wilde Auenwälder wie an Alster und Ilmenau sucht man in Deutschlands bewaldeter Mitte meist vergeblich. Der wahre Schatz des Nordens ist somit auch das Wasser. Zahllose Flüsse, Kanäle, Seen und Moore laden zu abwechslungsreichen Touren ein. Von Menschenhand geschaffenen Landmarken wie Deiche, Häfen, Brücken und Schleusen sind immer wieder spannende Ziele.


Meinem Bedürfnis nach Winterschlaf und dem frühen Ende des Tageslichts geschuldet, fallen die Wanderungen jetzt zum Höhepunkt des Winters eher kurz aus. Acht bis Zehn Kilometer, auch schon mal 12, dann ist der Tag vorbei. Mit dem Wandern erschließen wir uns gerade einen ganz neuen Kosmos. Schon der Umstieg vom Auto auf das Fahrrad hatte einen Aha-Effekt. Man sah plötzlich mehr und vor allem ganz andere Dinge. Ähnliches geschieht gerade wieder. Zu Fuß gehe ich dort längs, wo ich schon immer mal genau gucken wollte, wo ich mit dem Rad nie hin gekommen wäre oder wo es schlicht nie gelohnt hätte mit dem Zweirad hin zu fahren. Eine neue, ganz andere Welt offenbart sich.


Lotte macht sich prima als Begleithund. Bedenkt man, dass sie fast gänzlich unerzogen zu uns kam und vor vielen unbekannte Dingen Angst hatte, habe wir in den letzten vier Monaten rasante Fortschritte gemacht. Unser großes Geheimnis ist: ich vertraue ihr und sie vertraut mir. Über weite Strecken kann ich sie frei laufen lassen und das Zurückrufen funktioniert schon zu mehr als 90%. Eine gewisse Voraussicht ist immer nötig, aber ich bin schon sehr zufrieden. Das, die Wanderung unvermeidlich abschließende Vollbad, muss ich einfach bei einem Hund mit solch kurzen Beinen und feinem, langem Fell, von Anfang an einplanen. Da darf man sich keiner Illusion hingeben. 


Es gibt noch viel zu entdecken, hier bei uns im Norden. Nicht, dass ich das Radfahren jetzt an den Nagel hängen würde, ich habe eher das Gefühl, etwas neues aufregendes hinzu gewonnen zu haben. Wenn im April die Sonne wieder kräftiger wird, dann werden Lotte und ich ganz bestimmt den Drahtesel wieder satteln. Für die lange kalte Winterzeit haben wir jedoch eine äußerst attraktive Alternative gefunden.